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      Amberstar Review

(Diese Review gibt es auch als eine von mir gesprochene Rezension auf Youtube, siehe unten)

Auf Adlerschwingen auf Bernsteinjagd: Das Introbild von Amberstar

Thalion stand am Grab seiner Eltern und schwieg. Der Orküberfall, einer von sehr vielen in letzter Zeit, war ihm noch sehr lebhaft in Erinnerung. Erst die Stille auf dem Waldpfad, dann das Knacken von Ästen und dann das Brüllen aus Orkkehlen… Seine Eltern und er waren keine Krieger, das alte Messer, welches ihm sein Vater erst letzten Sommer zu seiner Volljährigkeit schenkte, war wohl kaum eine adäquate Waffe gegenüber Orkbeilen und primitiven, aber effektiven Keulen. Die Peitsche seines Vaters war da schon eher geeignet, aber was soll schon eine improvisierte Waffe gegenüber den Blutrausch der Orks ausrichten? Seine Mutter war die erste, welche die Wildheit eines orkischem Beils zu spüren bekam, das Beil bohrte sich tief in ihrem Bauch und beendete schneller ihr Leben, als sie hätte einen Schrei abgeben können. Mein Vater kämpfe tapfer, er schwang die Peitsche, welche sonst nur unsere Zugpferde zu spüren bekam, gegen die grünen Wilden. Tatsächlich schaffte er es sogar, einen jungen Orkkrieger einen satten Hieb ins Gesicht zu verpassen, so dass sofort eine tiefe Wunde entstand. Doch dann erhob ein mächtiger Bergork sein Kriegsbeil und halbierte fast meinen Vater mit einem Hieb. Und das letzte, was Thalion zu sehen bekam, war eine hinabsausende Keule eines älteren Kriegers, welcher ihn zum Glück nicht zu hart am Kopf traf. Die Platzwunde an der Stirn und seine sofortige Bewusstlosigkeit rettete ihm am Ende aber das Leben. So plünderten die Orks die Waren seines Vaters, töteten und aßen die Pferde, und ließen Thalion inmitten des zerstörten Wagens zurück. Als Thalion nach Stunden wieder zu sich kam, war es fast bereits Nacht. Er schleppte sich zurück nach Twinlake, welches zum Glück nicht allzu entfernt war. Dort brach er vor den Stadttoren zusammen, und das nächste, was er wieder sah, war das Gesicht der Priester. In deren Obhut erholte sich Thalion recht schnell, so dass er bereits zwei Tage nach der unglückseligen Begegnung mit der Orkbande seine Eltern in aller Stille beigesetzen konnte. Doch was sollte nun werden? Seine Eltern besaßen ein Haus hier in Twinlake, dort könnte er erst einmal unterkommen. Aber was hielt ihm hier noch? Thalion wollte immer ein Paladin werden, jene legendäre Heilige Krieger, welche vor Jahrhunderten den bösen Lord Tarbor besiegten und seinem Leichnam in der großen Feste Godsbane brachten. Thalion konnte nicht wissen, dass die ewige Wache der Paladine in Godsbane von dem Schwarzmagier Marmion vernichtet wurde und das Marmion plant, den dunklen Lord wieder auferstehen zu lassen, um die Welt Lyramion ins Chaos zu stürzen. Doch war Thalion, ohne das er es ahnen konnte, vom Schicksal auserkoren worden, die Bruchstücke des Amberstars, welcher den Zugang zu Godsbane öffnet, zu finden und Marmions finsteres Ritual zu stoppen.

Naja, eins habe ich schon mal...

Das Charaktersystem von Amberstar basiert auf Fähigkeiten wie Nahkampfangriff und Parade, Schlösser knacken oder auch Horchen und der erfolgreichen Nutzung von Magie. Dabei hat jede Charakterklasse, es gibt Acht an der Zahl, verschiedene Maximalwerte, was die Fähigkeiten betreffen. So kann der Schwarzmagier sehr wohl ein Meister der Magie-Benutzung werden, seine Nahkampffähigkeiten bleiben dabei aber auf der Strecke. Zusätzlich gibt es außerdem noch Charakterwerte wie Stärke, Intelligenz oder Ausdauer, welche wiederrum ihre Maximalwerte aus der Wahl der Rasse wie Menschen, Zwerge oder Elfen ableiten, wobei der erstellbare Hauptcharakter immer ein Mensch ist. Pro Levelaufstieg erhält jeder Spielcharakter eine bestimmte Menge an Fähigkeitspunkten, welche man frei auf die Fähigkeiten verteilen kann.

Ein Paladin in Zahlen: Darkhan kann zwar kämpfen, aber nur schlecht horchen...

Thalion und seine maximal 5 Gefährten bereisen die Welt Lyramion zu Fuss, mit Pferden oder später sogar mit einer Flugmaschine. Auf der Überlandkarte von Lyramion gibt es verschiedene Landschaften wie Wälder, Steppen, Gebirge oder auch Wüsten zu bereisen, wobei jede Landschaft auch das Vorankommen der Helden unterschiedlich beeinflusst. Wenn es dunkel wird, wird die Sicht der Heldentruppe mit fortschreitender Stunde bis auf ein Minimum eingeschränkt. Spätestens jetzt sollten die Gefährten ihr Lager aufschlagen und bis zum nächsten Morgen rasten. Allerdings benötigen die gestressten Helden ein zünftiges Abendmahl, so dass es notwendig ist, vorher genug Rationen für alle Helden besorgt zu haben, da ansonsten die nächtliche Regeneration von Treffer- und Spruchpunkten aussetzt.

Ist doch klar, wo wir sind, nämlich auf einem Pferd nachts mitten in der Wüste

Betritt die Truppe eine Stadt oder einen anderen besonderen Ort, wechselt das Spiel in eine Egosicht, welche ähnlich wie bei Eye of the Beholder oder Dungeon Master aufgebaut ist. NPC laufen in Echtzeit über die Karte und können per Mausklick zu einem Gespräch überredet werden. Im Gespräch wählt man aus verschiedenen Schlagworten wie Hallo, Aufgabe oder Schlüssel einen Begriff aus und erhält dann eine Antwort vom Gesprächspartner. Generell wird in Amberstar stark der Fokus auf das Geschichtenerzählen gesetzt: Selbst bei so genretypischen Aufgaben wie in der örtlichen Kanalisation nach einen verschollenen Haustier zu suchen, spinnt das Spiel eine kleine nette Geschichte, an deren Ende die zu diesem Zeitpunkt noch jungen Helden gegen einen zauberwirkenden Rattenkönig antreten müssen. Später werden Thalion und seine Gefährten in die dunklen Machenschaften eines Bürgermeisters inklusive einer Dämonenbeschwörung und Verhandlungen mit eben diesem Dämonen verwickelt. Betritt die Heldentruppe ein Haus, wird wieder in die Vogelperspektive umgeschaltet.  Hier können Möbelstücke wie Truhen oder Schränke nach Inhalten durchsucht und deren Inhalt geplündert werden.

Das untote Empfangskomitee ist schon da: Unsere Helden auf Sightseeing in der ewigen Wache

Kommt es zum Kampf, wechselt Amberstar auf ein schachbrettartiges Feld, wobei die Helden am unteren Bildschirmrand und die Gegner am oberen Bildschirmrand aufgestellt sind. Im jeden Zug kann jede Spielfigur eine Aktion ausführen, sei es das Angreifen eines Gegners, die Bewegung auf ein anderes Feld oder den Einsatz eines Gegenstandes. Sind alle Befehle erteilt, werden die Aktionen, basierend auf die Initiative der Figur, nacheinander ausgeführt. Interessanterweise können die Helden, welche in der vordersten Reihe stehen, aber nicht auf dem Spielfeld vorrücken, so dass sie dem Gegner nicht entgegenkommen können. Daher heißt es in den ersten Runden, entweder auf die Ankunft der Gegner warten oder Fernkampfwaffen einsetzen. Wenn der Gegner (welcher übrigens fast immer in Horden auftaucht) in etwa die Hälfte seiner Truppe verloren hat, setzt er meistens zur Flucht an, welche man aber, wie vorher beschrieben, zumindest im Nahkampf nicht verhindern kann. Nach dem Kampf erhalten alle Gefährten Erfahrungspunkte und hoffentlich eine Menge Beute, welche allerdings durch die schiere Gegnerzahl oft derartig üppig ausfällt, dass die Party schnell ihre Inventare voll haben.

Rache für die Eltern: Darkhan aka Thalion verkloppt einen Ork

Das Rätseldesign in den vielen Verließen, Türmen und Kerkern im Spiel, ist ausgesprochen komplex und abwechslungsreich gestaltet worden. So muss die Party nicht nur eine Menge Schalter finden oder Teleporter benutzen, sondern auch Rätselmünder (im Stil von The Bard’s Tale) die passenden Antworten geben, um ihr Ziel zu erreichen. Die Dungeons an sich sind abwechslungsreich und fantasievoll gestaltet worden, die Helden kriechen nicht nur durch klassische Kanalisationen und Höhlen, sondern werden auf ihrer Reise durch Lyramion auch verwunschene Feenwälder inklusive verwirrender Feenstreiche oder antike Pyramiden erforschen.

Freundliches Gesicht in Stein: Wir hatten die passende Antwort für den Rätselmund

Grafisch ist die VGA Grafik zweckmäßig gestaltet worden, alle Figuren und Gegner sowie die Landschaft und die Gegenstände sind gut erkennbar, aber nicht wirklich etwas Besonderes. Interessant hier ist aber, dass die Grafik auf allen umgesetzten Plattformen wie dem PC, dem Amiga oder den Atari ST nahezu identisch ist. Ganz anders die Musik: Selten hörte man auf den PC eine derartig abwechslungsreiche und stimmungsvolle Musik! Sei es die flotte Galoppmusik beim Aufstieg auf das Pferd oder die traurige Stimmungsmusik auf den Friedhof von Twinlake, in Amberstar gibt es in jedem Gebiet eine tolle und auch passende Musik. Mit so einem tollen Soundtrack wurden damals dann doch eher die Amiga Besitzer und nicht die PC Inhaber beglückt.

Empfehlenswert: Track 6, Traveller's Tune, 9, Erik's Revenge und 11, Ode to Schnism...und ähm,  der ganze Rest natürlich auch :)

Mein Fazit:

Amberstar glänzt durch sein ausgefeiltes Charaktersystem und erstklassigen Dungeon- und Rätseldesign. Die vielen kleinen und großem Geschichten und die vielen Gesprächspartner vermitteln eine stimmungsvolle Bild von Lyramion. Durch die tolle Musik und glaubhaft inszenierte Welt ist Amberstar ein ausgezeichneter Vertreter der klassischen Computerrollenspiele.

Ok, so friedlich sind die Gänge nun auch wieder nicht...
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© Mathias Haaf