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    Planescape: Torment                   Review

Der Großteil der klassischen Fantasy-Rollenspiel baut auf einen immer gleichem Schema auf: Held bzw. Heldin X muss dem friedlichen Königreich Y  vor der Zerstörung durch Obermotz Z zur Hilfe eilen. Dabei überqueren die Helden liebliche Wiesen, frostig-kalte Eiswüsten und zum Schluss der Showdown in der Lavaebene. Planescape: Torment ist da ein kleinwenig anders: Es gibt weder einen Helden, noch ein friedliches Königreich oder liebliche Wiesen, nur ein untoter Protagonist mit Gedächnisverlust, welcher seine eigene Sterblichkeit sucht.

 

Der Startbildschirm

Planescape: Torment spielt in der namensgebenden Kampangenwelt Planescape, welche man sich kurzgesagt als ein Multiversum (also mehrere Welten parallel existierent) vorstellen kann, in dem es einfach alles gibt und auch alles möglich ist. Die Welten des Multiversums, Ebenen genannt,  teilen sich in gute, neutrale und böse Ebenen auf, doch ist diese Einteilung nicht permanent. Falls sich z.b. die bösen Bewohner einer Ebene dazu entschließen, plötzlich Recht und Gesetz zu achten und den schwächeren Bewohner ihrer Domäne auf die Beine helfen wollen, so driftet die Ebene zum Guten ab und wird irgendwann von Engeln und weiteren guten Wesen bevölkert. Doch es gibt nicht nur die klassisichen Kämpfe zwischen Gut und Böse in Planescape: Im sogenannten Blutkrieg kämpfen Dämonen und Teufel über die böse Hoheit auf ihren Ebenen. Und alle treffen sich in Sigil, die Stadt der Portale, welche eine neutrale Stadt zwischen den Ebenen darstellt und von der geheimnisvollen Dame der Schmerzen regiert wird. Und in dieser Stadt der Portale erwacht unser namenloser Protagonist ohne Gedächtnis wie bereits erwähnt in der Leichenhalle. Ein alter Hut, möchte man meinen, wenn da nicht die Sache mit den Untod wäre… Tatsächlich ist der Namenlose unsterblich, allerdings verliert er mit jedem Tod etwas von seiner Erinnerung. Beim Erwachen wird der Namenlose von den Mimic Morte begrüßt, ein sprechender, schwebender Totenkopf, welcher den Protagonisten als erstes Gruppenmitglied unterstützt und ihn hilft, aus der Leichenhalle zu fliehen. Es ist auch Morte, welcher ihm von dem tätowierten Text auf seinem Rücken berichtet und ihm vorliest, dass der Namenlose einen Schrottsammler namens Pharod suchen soll und wenn er schon dabei ist, auch gleich noch sein Tagebuch, auf das der Namenlose wieder sein Gedächtnis auffrischen kann. 

 

Die Dame der Schmerzen, die Maggie Thatcher von Sigil

Zu Spielbeginn kann sich der Spieler mithilfe des Dungeons and Dragons Charaktersystems seinen eigenen Namenlosen basteln, indem man Attributpunkte auf Stärke, Geschicklichkeit, Konstitution , Weisheit, Intelligenz und Charisma verteilt. Die klassische Berufswahl entfällt allerdings, der Namenlose startet immer als Kämpfer, kann sich aber später, den richtigen Trainer vorausgesetzt, auch den Karrieren als Dieb oder Magier verschreiben. Ebenso wenig gibt es, wie bei D&D sonst üblich, eine Gesinnungswahl, der Namenlose ist zu Beginn an von neutraler Gesinnung, kann sich aber, je nach Wahl der Antworten und Taten in die gute oder böse bzw. rechtschaffende oder chaotische Richtung verändern. Planescape: Torment spielt sich wie Baldur’s Gate oder Icewind Dale (tatsächlich verwenden sie die gleiche Technik, die hauseigene Infinity Engine) aus der isometrischen Perspektive, das heißt, die Kamera zeigt die Spielwelt von schräg oben. Der Namenlose und seine maximal fünf Gefährten steuern sich in Echtzeit durch die Straßen und Gassen von Sigil, Passanten und Händler können mit einen Klick ein Gespräch aufgezwungen werden. Kommen weniger freundliche Gesellen vorbei, kämpfen die restlichen Gruppenmitglieder je nach eingestellter KI automatisch mit Magie und Stahl gegen die Gegner, während die gesteuerte Figur durch Klicken auf den Gegner seine Angriffe loslässt.

 

Der Namenlose in Zahlen: Das Charaktefenster von Planescape: Torment

Allerdings wird die Gruppe um den Namenlosen nur wenig Zeit mit Erkunden und Kämpfen verbringen, denn Planescape: Torment ist ein sehr Dialog-lastiges Rollenspiel. Tatsächlich verbringt der Spieler die meiste Zeit in den Gesprächen mit den Bewohnern der Ebenen, denn es gilt,etwa 1 Millionen Wörter in den Dialogen zu lesen. Selbst kämpferische Auseinandersetzungen können mit einer flinken Zunge entschärft werden. Dabei benötigt der Namenlose allerdings ein hohes Maß an Intelligenz, Weisheit und auch Charisma, damit er die klugen, weisen oder auch charismatischen Dialogoptionen überhaupt als Antwort zur Wahl hat. Damit ist Planescape: Torment eines der ersten Computer-Rollenspiel, in dem es möglich war, mit den besagten Attributen die Dialoge und selbst die ganze Geschichte zu beeinflussen. DIe Dialoge drehen sich dabei aber oft um sehr philosophische Themen wie die Bedeutung und die Macht von Namen, der Frage, was das Wesen eines Menschen (und damit auch sein Schicksal) ändern kann und ob es so etwas wie einen freien Willen überhaupt gibt. Als gutes Beispiel für das Zusammenwirken von hohen Geistesattributen sind die Dialoge mit den Begleiter Dak'kon gennant. Dak'kon ist ein Glithzerai und damit ein Bewohner des Limbus, einer Ebene, in der nichts eine feste Gestalt hat, außer ein willenstarkes Individuum zwinkt dem Limbus, eine feste Gestalt anzunehmen. Dieser Gefährte ist (bzw. war...) für sein Volk ein spiritueller Führer, welche die Lehren des Zerthimon, ihres Propheten, gemeistert hat. Durch eine hohe Intelligenz kann der Namenlose die Lehren des Propheten selber erlernen und damit nicht nur eine große Menge an Erfahrungspunkten sammeln, sondern auch spezielle Zaubersprüch erhalten, welche eine modifizierte bzw. verbesserte Versionen der bekannten D&D Magierzauber entsprechen. Geschätzt habe ich alleine mit den philosophischen Gesprächen mit Dak'kon sicherlich 2 Stunden oder mehr vebracht, und das war nie langweilig.

 

Philosophiestunde in der Hölle: Der Namenlose im Gespräch mit Dak'kon

Mein Fazit:

Ich gebe es sehr gerne zu: Planescape: Torment ist für mich mit Abstand das beste Computerrollenspiel aller Zeiten. Diese überaus interessante Spielwelt mit ihren exotischen Einwohnern, ihren völlig fremden und bisher in noch keinem Computerrollenspiel vorhandenen Geschichten und Hintergründen, ist wirklich einzigartig und ohne Übertreibung ein echtes Erlebnis für alle Rollenspieler. Wenn man sich auch nur Ansatzweise für Rollenspiele interessieren kann, ist dieses Meisterwerk ein Pflichtspiel. Und für alle anderen Spieler, ebenso.

Geschichtenaustausch im Bordell zur Befriedigung intellektueller Gelüste (ja, das gibt es wirklich in Sigil...)
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© Mathias Haaf